top of page

Warum ist das Thema Organspende eigentlich so ein heikles?

  • Autorenbild: Anna M. Dittus
    Anna M. Dittus
  • vor 2 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit


ree

Mein Name ist Anna M. Dittus. Ich bin 41 Jahre alt, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch immer irgendwo zwischen akribischer Lebensanalyse und gepflegter Realitätsflucht unterwegs – letzteres heute allerdings nur minimal. Denn diesmal geht es um ein ernstes Thema, das viele von uns am liebsten weit von sich wegschieben. Bis es uns plötzlich mitten und buchstäblich ins Herz trifft. Die Rede ist von Organspende.


Niemand von uns möchte ernsthaft darüber nachdenken, wie zerbrechlich das Leben ist. Wir alle kennen diese diffuse Angst: die Vorstellung, einen geliebten Menschen zu verlieren – Eltern, Kinder, Partner, Freunde. Oder die ganz persönliche Angst, dass es uns selbst treffen könnte. Krankheit, Unfall, eine Diagnose, die alles kippt. Wir tun so, als seien diese Szenarien weit weg, bis sie mit aller Macht in unser Leben krachen.


Ich weiß das, weil ich es erlebt habe. Vor einigen Jahren wurde mein Vater lungentransplantiert. Ein Wort, das nüchtern klingt – medizinisch, sachlich, beinahe kalt. Aber in Wahrheit steckt dahinter ein ganzes Universum an Emotionen: Hoffnung, Angst, Verzweiflung, Liebe. Und am Ende – zumindest für mich und meine Familie – zum Glück ganz viel gewonnene Lebenszeit, die wir einem Menschen verdanken, den wir niemals kennenlernen werden. Dieser Mensch ist tot, hatte an seinem letzten Tag allerdings einen Organspendeausweis in der Tasche. Wie (zum 31.12.2024 gezählt 8575) andere Menschen in Deutschland auch. Moment – ich hoffe, Sie merken es auch: 8575 Menschen in Deutschland? In einem Land mit 83,51 Millionen Einwohnern? Unglaublich. Ich wage zu spüren, wie Ihnen beim Lesen dieser Zahl ihr Avocado-Toast im Hals steckenbleibt. Warum so wenige? Warum?Vielleicht, weil sich viele Organspende noch immer wie eine dunkle, fast gruselige Angelegenheit vorstellen – irgendwo zwischen Thriller und urbaner Legende. So nach dem Motto: Man liegt im Krankenhausbett, ist noch nicht so ganz tot, aber dann schleicht nachts jemand im weißen Kittel ins Zimmer, klappt ein Besteckkästchen auf und murmelt: „Den Leberlappen nehm’ ich schon mal mit…“ Nächste Einstellung: Eine dunkle Gasse, es regnet, ein Mann mit Hut und Mantel steht da mit einem Metallkoffer in der Hand. Ein Kleinbus mit verschmutztem Nummernschild nähert sich, eine dunkel gekleidete Gestalt mit Skimütze steigt aus. Tausch von Koffer gegen Umschlag. – Schnitt, Abspann, Gänsehaut. Ich denke, Sie fühlen, was ich meine.

Doch ich kann Ihnen versichern: Die Realität ist eine völlig andere – viel weniger Netflix, viel mehr Handbuch der Bundesärztekammer. In Deutschland gilt: Eine Organspende ist erst dann möglich, wenn der irreversible Ausfall aller Hirnfunktionen festgestellt wurde. Und das nicht von irgendwem, sondern von zwei voneinander unabhängigen, besonders qualifizierten Ärzten, die weder die Entnahme noch die spätere Transplantation durchführen dürfen. Kein Schnellschuss, kein „Hoppla, der atmet ja noch“, sondern ein streng geregeltes Verfahren, das allen Beteiligten Sicherheit gibt.


Damit es nicht abstrakt bleibt, hier die vereinfachte Abfolge:

(Ja, heute wird hier was gelernt, ich sag es Ihnen. Denn bei diesem Thema darf man keineswegs aquamarin-blauäugig durchs Leben gehen!)

  1. Krankheit oder Unfall: Nach schwerer Hirnschädigung wird alles getan, um das Leben zu retten. Erst wenn das unmöglich ist, kommt eine Spende infrage.

  2. Todesfeststellung: Der Hirntod wird nach strengsten Richtlinien festgestellt.

  3. Meldung an die DSO: Das Krankenhaus informiert die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), die rund um die Uhr erreichbar ist.

  4. Angehörigengespräch: Gibt es keinen dokumentierten Willen, werden die Angehörigen gefragt.

  5. Medizinische Untersuchungen: Die DSO prüft, ob die Organe geeignet und sicher sind.

  6. Eurotransplant: Daten werden weitergeleitet, Empfänger werden nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht ausgewählt.

  7. Organentnahme: Unter OP-Bedingungen – würdevoll, sorgfältig, mit verschlossener Wunde.

  8. Transport: Schnell, steril, hochprofessionell.

  9. Transplantation: Der Empfänger wartet bereits vorbereitet im OP.


Nicht gruselig, sondern hochstrukturiert – und vor allem: lebensrettend.

Und trotzdem tun wir uns schwer mit diesem Thema. Vielleicht, weil Organspende bedeutet, sich mit dem eigenen Ende auseinanderzusetzen. Weil wir glauben, dass wir noch ewig Zeit haben. Oder weil wir schlicht Angst haben, dass da irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Aber die Wahrheit ist: Unfälle oder Krankheiten kündigen sich nicht an. Sie reißen uns ohne Vorwarnung aus dem Alltag. Und genau deshalb ist es so wichtig, dass wir unsere Entscheidung festhalten – sei es im Organspendeausweis oder im Register. Damit unsere Angehörigen nicht in der schwersten Stunde auch noch diese Last tragen müssen.

Für mich ist Organspende kein theoretisches Thema mehr, sondern ein persönliches. Und für Sie? Gehören Sie zu den 8575 Menschen mit Organspendeausweis? Und wenn nicht – warum nicht? Ich schreibe darüber, weil ich kann, weil ich darf – und weil ich finde, dass ich muss. Ich frage Sie das nicht, um Sie zu belehren, sondern wirklich aus Interesse. Und als Tochter eines transplantierten Vaters weiß ich: Wenn sich auch nur ein einziger Mensch nach dem Lesen dieser Zeilen beginnt, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, oder gar einen Organspendeausweis ausfüllt, dann hat sich diese Ausgabe der Kolumne mehr als gelohnt. Denn: Wer nehmen will, muss auch geben.


Herzlichst,

Ihre Anna Dittus(41, gesund, aber mit Organspendeausweis in der Tasche – weil Leben kein Zufall ist.)

 

Kommentare


bottom of page