Warum hören eigentlich so viele Erwachsene Hörspiele?
- Anna M. Dittus

- vor 3 Tagen
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Mein Name ist Anna Dittus. Ich bin 41 Jahre alt, vermutlich immer noch irgendwo zwischen akribischer Lebensanalyse und gepflegter Realitätsflucht unterwegs – letzteres heute ganz offiziell. Denn diesmal geht es um ein Stück Kindheit, das einfach nicht aufhören will: Hörspiele.
Stellen Sie sich vor: Gestern saß ich auf meinem grünen Lesesessel, den Laptop auf dem Schoß, selbstverständlich eine Dose grünes Red Bull in Reichweite … und alles in meinem Gehirn drehte sich um betriebliche Altersversorgung, Berufsunfähigkeitsversicherungen und Rente. Richtig anstrengende Erwachsenen-Dinge eben. Und einmal mehr habe ich einsehen müssen, dass ich davon nur wenig verstehe, weil mich bei diesen Themen einfach das akute Desinteresse packt. Die aquamarin-blauen Augen wurden immer kleiner, der Salat in meinem Kopf immer größer. Das Einzige, was mich wachhielt (und seit 35 Jahren mein konstantes Interesse weckt): Justus Jonas, der sich einmal wieder einem spezialgelagerten Sonderfall widmete. Denn nebenbei lief die neueste Folge der drei Fragezeichen.
Klingt komisch? Finden Sie? Dann verrate ich Ihnen etwas: Ich bin damit nicht allein. Millionen Erwachsene in Deutschland hören regelmäßig Hörspiele. Und nicht nur, weil sie unfreiwillig bei ihren Kindern „mitzuhören“ (Sie wissen ja, ich habe keine Kinder beziehungsweise hören meine Neffen wegen mir Hörspiele, nicht umgekehrt!). Sondern ganz bewusst, ganz freiwillig, ganz begeistert. Warum ist das so? Vielleicht liegt es daran, dass Hörspiele eine Art Zeitmaschine sind. Sie katapultieren uns zurück in eine Welt, in der es als völlig normal galt, dass ein sprechender Elefant „Törööö“ machte und das größte Problem im Leben die Rettung des Neustätdter Zoos war. Ich selbst war sicher hundert Mal mit Betty, Benni und Buck durch London unterwegs, so ganz Scottland Yard-mäßig auf der Jagd nach Mr. X. Und mal ehrlich: Wie viele von uns haben heimlich mitgefiebert, wenn Pumuckl sich mal wieder dummerweise irgendwo festklebte und kurz davor war, entdeckt zu werden? Hach …
Meine allererste Hörspielkassette (Für die Jüngeren: Kassetten sind diese rechteckigen Plastikdinger mit Bandsalat-Garantie. Googeln Sie’s mal, Nostalgie pur!) war von Enid Blyton: Fünf Freunde machen eine Entdeckung. Verraten Sie es keinem, aber ich kann die Folge immer noch auswendig mitsprechen, so oft habe ich sie gehört! Später die drei Fragezeichen, TKKG, Bibi Blocksberg, Scottland Yard und viele mehr. Es gab nichts Schöneres, als beim Einschlafen in andere Welten zu verschwinden. Es gab? Bitte entschuldigen Sie – ich meine natürlich „Es GIBT“! Jetzt halt beim Putzen, bei der Gartenarbeit, beim Sport oder auf großen Reisen in den hohen Norden.
Wissenschaftlich betrachtet ist das gar nicht so abwegig. Studien zeigen, dass Hörspiele beim Hören dieselben Gehirnareale aktivieren, wie beim Lesen (ICH LIEBE LESEN!) – mit dem Unterschied, dass wir dabei noch freier Bilder erschaffen. Sie sind Kino im Kopf. Und das Beste: Man kann sie immer und überall hören. Weshalb meine Hörspiel-Liebe auch in der Pubertät nicht verschwand. Wenn andere Schüler Böhse Onkelz, Take That oder DJ Bobo (jaaaa, ich bin schon ein bisschen alt, ich weiß!) im Walkman hörten, war ich mit Tim, Karl, Gabi und Karl im Teufelsmoor. Später, als ich für meine ersten Fahrten das Auto meiner Mutter ausleihen durfte, hatte sie die Ehre, meine angefangenen Abenteuer mit Derek, Jay und Tom von Point Whitmark zu Ende hören, wenn sie den Wagen wieder zurückbekam. Selbstverständlich unfreiwillig.
Und heute? Heute hat der Markt längst erkannt, wie groß die Hörspiel-Liebe von Erwachsenen ist. Es gibt inzwischen eine fast unüberschaubare Menge an Serien, die extra für „große Hörer“ produziert werden – von Parodien wie der „Ferienbande“, die sämtliche Jung-Detektive, die auf Kassetten existieren, schwer (und richtig, richtig gut!!!) auf den Arm nehmen, bis zu norddeutschen Küstenkrimis oder abgründigen Thrillern. Während die ??? und TKKG nach eiserner Regel ermitteln, nie jemanden sterben lassen, geht es hier schon mal richtig zur Sache.
Sie glauben immer noch nicht, dass wir hier über ein wirklich ernstzunehmendes Thema sprechen? Also hören (bzw. lesen) Sie mal: Hörspiel-Fan im Erwachsenenalter zu sein, bedeutet Einsatz. Es ist ein harter Job, fast schon eine Wissenschaft. Wir müssen uns in Insider-Battles behaupten. Wir müssen Zitate aus dem Stegreif zuordnen können. Wir müssen SOOOOFOOOOOOORT die neuesten Folgen hören – am besten noch, während sie im Studio eingesprochen werden, damit wir als Erste darüber diskutieren können. Wir sind … verdammt, wir sind irgendwie Nerds. Puh, und wir sind stolz drauf.
Aber geben Sie`s doch zu: Haben Sie nicht auch manchmal das Bedürfnis, sich die Decke über den Kopf zu ziehen, Kopfhörer aufzusetzen und in eine andere Welt abzutauchen? Eine, in der es weder Versicherungen noch die Angst vor dem Überleben im Alter gibt, sondern nur das Rätsel um die geheimnisvolle Villa am Stadtrand? Vielleicht ist es genau das, was Hörspiele für Erwachsene so unwiderstehlich macht: Sie schenken uns eine Pause. Einen Moment, in dem wir nicht funktionieren müssen, sondern einfach zuhören dürfen. Oder weil es einfach ziemlich cool ist, dass Justus Jonas auch nach 46 Jahren immer noch klüger ist als jeder Bösewicht!
Also, liebe Leserinnen und Leser: (Ge-)Hören Sie auch (da-)zu? Oder fragen Sie sich gerade, warum um Himmels Willen Menschen über 40 (und noch älter, versprochen!) noch begeistert einer Kassette lauschen? Falls letzteres der Fall ist, habe ich nur einen Tipp: Probieren Sie es aus. Aber Vorsicht – es könnte sein, dass Sie schneller im Bann all der wunderbaren, geheimnisvollen, exzentrischen, nostalgischen, einzigartigen Hörspiel-Charaktere geraten, als Sie „Hex-Hex“ sagen können. Dabei in jedem Fall von Herzen viel Vergnügen!
Herzlichst,
Ihre Anna Dittus(41, hat zwar Spotify, aber auch ein Regal voller Kassetten und ist stets bereit, für die ??? alles stehen und liegen zu lassen)



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