Teil 1
„Mama, Mama, wann ist denn nun endlich Weihnachten? Wann kommt denn das Christkind? Und wann bekommen wir Geschenke?“ Jakob und Hannes riefen ganz laut durcheinander. Es war der Morgen vom 2. Dezember, sie hatten heute Morgen ihr zweites Türchen aufmachen dürfen und zu ihrer großen Freude hatte es auch noch geschneit! Ihre Mama lachte: „Das dauert tatsächlich noch eine ganze Weile! Aber ihr werdet sehen, die Tage vergehen wie im Flug. Heute dürft ihr ja erst einmal zu Oma und Opa – freut ihr Euch?“ Und wie sich die beiden freuten, lachend und hüpfend tobten sie in Richtung Garderobe, um ihre warmen Sachen anzuziehen. Vielleicht geht der Opa ja heute sogar mit ihnen zum Schlittenberg – das wäre toll!
Die Mama startete das mit Schneesachen, Schlitten, den beiden Jungs und sich selbst vollgepackte Auto und steuerte es über die schneebedeckten Straßen. Das Haus von Oma und Opa sah toll aus, wie mit Zuckerguss bedeckt, ganz weiß und vor der Haustüre stand schon der von Oma so liebevoll geschmückte, alte Holzschlitten – ein Zeichen, dass Weihnachten nicht mehr weit war. Oma und Opa standen schon an der geöffneten Haustüre, als Jakob und Hannes mit ihrer Mama vorfuhren. „Opa, Opa, gehen wir zum Schlittenberg?“ Hannes hielt es mit seinen sechs Jahren vor Spannung kaum aus. „Jaaaaa, Schlittenberg!“ Jakob, sein zwei Jahre jüngerer Bruder, war ebenfalls begeistert und schnappte sich gleich die Schnur seines Bobs. Für ihn konnte es sofort losgehen. „Halt, halt“, rief Oma. „Zuerst müssen wir ja noch die Schneesachen anziehen!“ Mit Mütze, Handschuhen, Schal und Schneeklamotten stiefelten die beiden Helden dann los. Jeder in einer Hand die Schnur seines Schlittens und die andere kleine Hand in einer großen Hand des Opas.
Was für ein Spaß. Sie fuhren wie der geölte Blitz den Berg hinunter, mal alleine, jeder auf seinem Schlitten, mal zusammen auf einem Schlitten und der Opa stand oben am Berg und feuerte seine beiden Enkel an. Die Bäckchen der Jungs wurden immer roter, die Hosen immer nasser und das Lachen immer lauter. So sollte es sein. Doch auf einmal geschah etwas Komisches. Hannes sauste gerade wieder alleine auf seinem Schlitten den Berg hinunter. Er hatte sich eine komplett neue Spur mit frischem Schnee gesucht, da war heute noch keiner gefahren. Der kalte Wind sauste ihm trotz Mütze um die Ohren, als sein Schlitten auf einmal in einem Schneehaufen steckenblieb. Durch den Ruck aus dem Gleichgewicht gebracht, purzelte er aus dem Schlitten und mit dem Gesicht in den Schnee. Er rappelte sich auf und überlegte gerade, ob er nach dem Opa rufen sollte. Doch da sah er eine kleine Holzkiste aus dem Schnee ragen. Er machte große Augen und versuchte, diese aus dem Schnee zu befreien. Da kam auch schon Jakob angestiefelt. Er wollte doch mal nachsehen, was sein großer Bruder da so tat. Warum buddelte der denn da im Schnee herum? „Jakob schau, ich glaube, wir haben eine Schatzkiste gefunden!“ Jakob machte große Augen und zusammen gruben sie immer weiter im Schnee, bis die kleine Truhe frei lag. Sie legten ihn in Hannes Schlitten und gemeinsam zogen sie diesen den Berg hinaus, wo der Opa auf sie wartete. Schon von Weitem riefen sie: „Opa, Opa, schau, was wir gefunden haben, eine Schatzkiste!“ Endlich kamen sie völlig aus der Puste oben an. Der Opa staunte nicht schlecht. Na dann nichts wie ab nach Hause zur Oma, dann schauen wir zusammen mal nach, was da drin ist!“
Teil 2
„Omaaaa, wir haben einen Schatz, wir haben einen Schaaaaaatz!“
Nachdem Hannes Sturm geklingelt hatte, öffnete die Oma die Haustüre und war, weil Hannes und Jakob wild durcheinanderriefen und mit ihren nassen Schneeanzügen ins Haus drängten, kurz überfordert. „Stopp, stopp, stopp“, rief sie und fasste die beiden schneenassen Rabauken an ihren Kapuzen. Erst einmal ziehen wir jetzt die Schuhe und die Schneesachen aus, und dann erzählt ihr in Ruhe.“ Während die Jungs sich hektisch versuchten, die Klamotten vom Körper zu reißen, kam dann auch der Opa an der Türe an – mit einer Hand zog er die Schlitten hinter sich her, unter den anderen Arm hatte er die Schatzkiste geklemmt. Da bekam die Oma dann doch große Augen. „Ihr habt ja wirklich einen Schatz gefunden!“ „Klar, haben wir doch gesagt“, rief Hannes. „Haben wir gesagt“, rief daraufhin auch Jakob. „Kommt schnell“, versuchte Hannes Oma und Opa anzutreiben. „Wir müssen schauen, was drin ist!“
Ein paar Minuten später hatte Opa die Schatzkiste auf den Esstisch gestellt. Sowohl er, als auch die Oma sowie Hannes und Jakob machten ein ratloses Gesicht. In die alte Kiste war ein Schloss eingearbeitet – und natürlich hatten sie keinen Schlüssel. Sie schauten ratlos in das Schlüsselloch. „Da passt aber ein ganz schön großer Schlüssel rein“, staunt Jakob. „Ja, nicht so ein kleiner wie der für die Haustüre“, überlegt Hannes. „Da muss ein richtig großer, alter Schlüssel ´rein. Habt ihr so einen schon gesehen?“ Der Opa sah seine beiden Enkelsöhne fragend an. Hannes und Jakob schütteln den Kopf und schauen ihren Opa mit großen Augen an. „Dann kommt mal mit in meine Werkstatt, da habe ich so einen, den können wir zusammen anschauen.“ „Ohjaaaaa!“ Hannes und Jakob sprangen auf und liefern dem Opa voraus zur Kellertreppe. „Das ist ja wirklich toll, dass die Jungs einen Schatz gefunden haben – aber der wird sicher irgendjemandem gehören“, sagt die Oma zum Opa. „Meinst Du nicht, dass es besser ist, die Kiste wieder zurück an den Berg zu bringen?“ Der Opa macht ein nachdenkliches Gesicht. „Also, so wie die Kiste aussieht, war die sicher schon seit langem irgendwo vergraben. Jetzt lassen wir den Jungs mal ein bisschen den Spaß. Du siehst den Schlittenberg ja vom Küchenfenster aus – da kannst Du ja ab und an mal ´rausschauen, ob da jemand etwa sucht.“ Damit verschwand auch er in Richtung Keller.
Die Jungs hüpften schon vor der Werkstatttüre hin und her. „Opa, komm doch schnell!“ „Ja, ein alter Mann ist doch kein D-Zug“, lacht der Opa. In der Werkstatt holte er eine große Kiste aus seiner Werkbank, kramte kurz darin herum und zog einen alten Schlüssel hervor. „Der ist ja grün“, staunte Jakob lachend. „Ja, der ist aus Messing und ist im Laufe der Jahre angelaufen. Wenn man ihn reinigt, wird er wieder schön!“ „Wow, ganz schön schwer“, meinte Hannes, der den Schlüssel nun in der Hand hielt.
„Ooooh, was ist denn das?“ Jakob hatte sich inzwischen in der Werkstatt umgesehen und hat ein paar ausgesägte Holzsterne entdeckt. Der Opa lächelt: „Die Sterne habe ich für Euch ausgesägt. Wollen wir sie zusammen anmalen?“ „Jaaaa!“ Jakob und Hannes strahlen und schnappen sich die Pinsel. Zwei Stunden malen sie gelbe, rote und grüne Sterne an. Mit Gesicht, ohne Gesicht, mit Figuren, mit tollen Mustern – fleißig wie die Weihnachtselfen werkelten sie voller Eifer. Hannes und Opa sägten mit der Laubsäge sogar noch neue Sterne zu, so dass sie am Ende 20 Sterne vor sich liegen hatten.
„So, die müssen jetzt alle erst einmal trocknen“, sagte der Opa. Wir können ja mal nach oben gehen und schauen, ob die Oma einen Kaffee gemacht hat. Vielleicht gibt es dazu auch Lebkuchen und Stollen?“ Kaum hatte er das Wort Stollen ausgesprochen, rasten die beiden wie geölte Blitze nach oben. Nur Hannes stoppte noch kurz auf der Treppe: „Du, Opa, kannst du den großen Schlüssel mitbringen? Vielleicht passt der ja zum Schloss von der Kiste!“ Oben angekommen, stecken die Jungs, Oma und Opa nochmal die Köpfe über der Kiste zusammen. Aber so sehr sie es sich auch gewünscht hatten – der Schlüssel passte nicht. „Vielleicht könnt ihr heute Abend mal euren Papa fragen. Der hat doch immer gute Ideen und auch viele Werkzeuge. Morgen kommt ihr ja dann wieder zum Plätzchen backen, vielleicht können wir sie ja dann öffnen!“
Teil 3
„Oma? Weißt Du, was wir vergessen haben?“ Hannes schaute seine Oma mit traurigen Augen an, als er aus seinen Winterschuhen schlüpfte. „Nein, mein Großer, was habt ihr denn vergessen?“ „Wir haben den Papa heute Morgen gar nicht nach einem Werkzeug gefragt, mit dem wir die Kiste aufmachen können.“ Jakob, der gerade seinen Schal von seinem Hals wickelte, grinste verschmitzt: „Wir haben nämlich verschlafen!“ „Uuuuuuh, verschlafen ist aber nicht gut“, lachte die Oma, die sich lebhaft vorstellen konnte, was das in der Früh für ein Trubel gewesen sein muss. „Naja, dann legen wir jetzt einfach einmal los in unserer Weihnachtsbackstube. Vielleicht hat der Opa ja noch eine Idee, wie wir die Schatztruhe öffnen können, aber der ist gerade noch auf der Arbeit.“
Ehe die Oma es sich versah, hüpften ihre beiden Lieblingsjungs schon los in die Küche und staunten nicht schlecht. Überall standen Schüsseln und Zutaten, ganz viele Eier lagen auf der Arbeitsplatte bereit, Schokoguss und Zuckerperlen, um die Plätzchen zu verzieren, fehlten selbstverständlich auch nicht. „So, jetzt waschen wir uns erst einmal alle die Hände, und ich würde sagen, dann beginnen wir mit den Ausstechplätzchen. Für die habe ich den Teig schon vorbereitet und die müssen ja schließlich gut abkühlen, dass wir sie auch alle noch verzieren können.“ Hannes strahlte. „Ich will den großen Stern“, rief er und griff nach der größten Ausstechform, die er entdecken konnte. „Nein, ICH will den großen Stern!“ Jakob wollte einfach immer dasselbe wie sein großer Bruder. „Jakob, schau mal“, flüsterte ihm die Oma ins Ohr und hielt ihm eine Form entgegen, die aussah wie ein Hirsch. „Vielleicht willst Du ja mit der hier anfangen?“ Nun strahlte auch Jakob wieder, und das große Ausstechen konnte beginnen. Unermüdlich wanderten Hirsche und große Sterne, aber auch kleine Sterne, Herzen, Monde, Kreise und viele andere Formen auf viele, viele Bleche. Als alle schließlich im Ofen waren, machten sie zusammen mit der Oma noch einen Teig für Vanillekipferl Das war ein Spaß, die kleinen Teigwürste zu rollen und zu formen. Und natürlich wanderte auch das eine oder andere Teigstück in die kleinen Münder – die Oma tat so, als sehe sie es nicht, es war ja schließlich Weihnachten. Nachdem sie dann auch noch Aprikosen mit Schokoglasur bepinselt und die Ausstech-Plätzchen mit Zuckerguss und Streuseln verziert hatten, waren sie müde und ein klein wenig Bauchgrimmen vom vielen Naschen hatten sie auch.
Erschöpft setzten sie sich mit der Oma auf`s Sofa und ließen sich etwas aus dem Räuber Hotzenplotz vorlesen, als endlich der Opa nach Hause kam. Da kam wieder Leben in die Jungs und sie erzählten ihm von ihren Plätzchen, von denen der Opa natürlich auch gleich probieren musste. Da fiel den Jungs ihre Schatzkiste wieder ein. „Opa? Hast Du vielleicht die Schatzkiste öffnen können?“ Mit großen Augen schauten sie ihren Opa an und erzählten ihm auch, dass sie ihren Papa in der morgendlichen Hektik vergessen hatten zu fragen. „Nein, ich habe es auch gar nicht weiter versucht“, gestand der Opa. „Aber wisst ihr was? In der Arbeit haben wir eine Kiste mit Dingen, die die Kunden bei uns vergessen – da sind auch ein paar Schlüssel dabei. Die habe ich uns mitgebracht, die steht in der Garage. Wollen wir die mal hereinholen und sie ausprobieren?“ Die Müdigkeit war bei Jakob und Hannes wie weggeblasen. Schon wollten sie durch die Wohnzimmertüre direkt in den Garten und zur Garage springen. Die Oma konnte gerade noch „Halt, halt, haaaaaaalt!“ rufen. Denn draußen lag ja Schnee, das war nichts für Hauschuhfüße. Und eine Jacke sollten sie ja zumindest auch noch anziehen. Endlich konnten sie mit dem Opa durch den verschneiten Garten zur Garage stapfen.
„Ganz schön viele Schlüssel“, staunte Jakob, als sie gemeinsam den Inhalt der Fundkiste auf dem Fußboden der Garage ausgebreitet hatten. „Aber gar nicht so viele alte“, Hannes klang schon wieder etwas endtäuscht. Nur vier Schlüssel sahen so aus, als könnten sie zur Schatztruhe passen. Alle anderen waren viel zu klein und zu neu.
Mit den vier alten Schlüsseln in den Händen standen sie wenig später dann um den Esstisch von Oma und Opa herum. Sie alle waren mittlerweile sehr neugierig. „Wollen wir die Schatzkiste mal schütteln?“ fragt der Opa? „Ohja“, sagte Hannes. „Vielleicht klappern dann ja Goldmünzen darin.“ „Goldmünzen?“ Jakob schaute seinen großen Bruder mit riesigen Augen an. „Naja, in einer Schatzkiste sind ja eigentlich immer Goldmünzen, oder Oma?“ Fragend schaute Hannes seine Oma an, die kannte sich aus, mit der hatte er schon Bücher über Schätze gelesen. „Am besten ist es wirklich, der Opa schüttelt mal – dann hören wir sicher gleich, ob Goldmünzen drin sind oder nicht!“ Der Opa schüttelte und schüttelte – aber es hörte sich nicht nach klimpernden Goldmünzen an. Im Grunde hörten sie gar nichts. „Vielleicht ist die Kiste ja leer?“ kicherte Jakob. Hannes Gesicht wurde ganz traurig. Er freute sich doch schließlich so auf den Schatz. „Leer ist sie, glaube ich, nicht“, sagte der Opa. Dafür ist sie zu schwer. „So, jetzt aber mal her mit den Schlüsseln. Jeder von uns nimmt einen – mal sehen, ob jemand den passenden hat!“ Jakob wollte unbedingt anfangen. Doch so sehr er sich bemühte, sein Schlüssel passte überhaupt nicht ins Loch. Er war zu groß! Als nächstes kam der Opa. Sein Schlüssel war zu klein, der wackelte in dem Schlüsselloch herum und fand keinen Halt. Der Schlüssel von Hannes ließ sich zumindest hineinstecken und fühlte sich recht passend an. Aber herumdrehen ließ er sich dann doch nicht. Nun hatte nur noch die Oma einen Schlüssel. Die Augen von Opa, Hannes und Jakob waren aufgeregt auf ihre Hand gerichtet, als sie ihn in das Schlüsselloch steckte. Drin war er schon einmal, und ganz unpassend sah er auch nicht aus. Aber ließ er sich auf herumdrehen, um die Kiste zu öffnen?
Teil 4
Jakob, Hannes und der Opa hielten den Atem an. Und die Oma drehte ganz langsam am Schlüssel. Er bewegte sich! Er ließ sich tatsächlich drehen! Jakob vergrub vor lauter Aufregung sein Gesicht in beiden Händen und schielte durch eine schmale Lücke zwischen seinen Fingern. Auf einmal ertönte ein leises Knacken und die kleine Schatztruhe sprang einen Spalt weit auf. Keiner der Vier sagte etwas, alle schauten wie gebannt auf die Kiste. Hannes unterbrach das Schweigen und flüsterte: „Soll ich sie mal aufklappen?“ „Klar!“ Auch der Opa flüsterte. Das war aber auch spannend. Also hob Hannes den Deckel an und lugte hinein. „Und?“ Jakob hielt es vor Spannung kaum aus. „Was ist drin, Hannes? Was ist drin?“ Hannes fasste mit seiner rechten Hand vorsichtig hinein. Als er sie wieder herauszog, hielt er darin einen Flummie. „Ist das alles?“ fragte die Oma. „Nein, wartet, da ist noch mehr. Kann mal jemand den Deckel halten?“ Der Opa hielt den Deckel fest und Hannes förderte nach und nach merkwürdige Dinge zu Tage. Einen ganz langen, neongrünen Gummi, der an den Enden zusammengebunden war, eine in sämtliche Neonfarben getünchte, große Plastikspirale, eine Bibi Blocksberg-Kassette, ein Zehn- und ein Fünfpfenningstück, einen kleinen Teddybären und zu guter Letzt einen Briefumschlag. „Da steht ja was drauf“, rief Jakob, als er den vergilbten Briefumschlag betrachtete. Der sah schon ganz schon mitgenommen aus und er traute sich gar nicht, den anzufassen. Die Oma nahm ihn schließlich vom Tisch und fragte Hannes: „Liest Du uns vor, was darauf steht?“ Hannes kniff die Augen zusammen, die Schrift war nämlich schon recht blass. „Nur mit Anna und Hermann öffnen!“ Verwundert schaute er die Oma an. „Das sind doch die Patin und der Papa, oder?“ Jetzt schauten auch die Oma und der Opa noch erstaunter drein als vorher. „Ja, da hast Du recht“, sagte der Opa. Das sind die beiden. „Na dann warten wir mal drauf, bis der Euer Papa Euch nachher abholt. Mal sehen, was der dazu sagt.“ „Können wir ihn nicht gleicht aufmachen?“ Jakob hielt es wirklich kaum aus, er wollte so gerne wissen, was in dem Umschlag war. Die Oma drehte den Umschlag um und hielt ihn den Jungs entgegen. „Schaut mal, da ist ein Siegel drauf. Den kann man gar nicht so einfach aufmachen!“ „Was ist ein Siegel?“ Hannes und Jakob blickten erstaunt auf den roten Knubbel, der genau da angebracht war, wo die Spitze der Umschlagklappe auf den Umschlag trifft. Die Oma erklärte: „Ein Briefsiegel ist dazu da, dass ein Brief nicht einfach so geöffnet und unbemerkt wieder verschlossen werden kann. Früher haben das die Menschen immer gemacht, wenn ganz besonders wichtige Dinge in Briefen standen, die niemand anderes als der Empfänger lesen durfte. Das ging ganz einfach: Sie haben eine Kerze angezündet, Wachs und das geschmolzene, flüssige Wachs auf den Umschlag geträufelt.“ „Dann steht da was ganz Wichtiges drin?“ Beinahe ehrfürchtig strich Jakob mit seinem kleinen Zeigefinger über das Siegel. „Schau mal, Oma, da ist ein Bild im Wachs!“ „Ja“, erklärte nun der Opa. „Wenn da nur ein Wachsfleck draufgemacht wurde, hätte den ja einfach jemand nach dem Öffnen wieder erneuern können. Er hätte ja auch nur eine gleichfarbige Kerze anzünden müssen, Wachs auf den Umschlag tropfen lassen und schon wäre dieser wieder verschlossen gewesen. Nein, das Besondere an so einem Siegel ist, dass man in das noch weiche Wachs etwas hineindrückt, was ein Muster ergibt, das niemand anderer nachmachen konnte. Und hier“, erfuhr ebenfalls mit den Fingern über das rote Siegel. „Hier hat jemand ein 50 Pfennig-Stück hineingedrückt. „Was ist Pfenning?“ fragte Jakob, der nun schon ganz rote Backen hatte. Jetzt lachten die Oma und der Opa. „Früher haben wir nicht mit Euro und Cent bezahlt, sondern mit D-Mark und Pfennigen. 50 Pfenning war damals so viel wie ein Euro.“ Das verstanden die Jungs zwar nicht so ganz, aber das war ja eigentlich auch egal. Sie hatten schließlich endlich die Schatztruhe öffnen können und außer dem Brief waren da ja auch noch andere Dinge drin. „Was ist das denn?“ Hannes hielt den langen, dünnen, giftgrünen Gummi in die Luft. „Das ist ein Hüpfgummi“, meinte die Oma grinsend. „Kann der hüpfen?“ fragte Jakob? „Nein, nein!“ Jetzt musste die Oma lachen. „Damit kannst Du hüpfen. Schau mal zu.“ Sie nahm das Gummiknäul und begann es zu entwirren. „Opa, stell Dich mal da rüber!“ Sie dirigierte den Opa ans eine Ende des Raumes und legte den Gummi hinten an seinen Waden entlang. Dann zog sie den Gummi ganz lang, bis er nicht mehr durchhing, blieb stehen und schlüpfte so hinein, dass sie dem Opa gegenüberstand und der Gummi einmal um sie herumlief. „Und jetzt?“ Hannes schaute die Oma leicht verwirrt an. „Jetzt stellst Du Dich mal an meine Position und ich zeige Dir, wie man gummihüpft.“ Gesagt, getan – und dann staunten die Jungs nicht schlecht, als ihre Oma ganz behände in lustigen Sprüngen mal links, mal rechts, mal überkreuzt durch die beiden Gummibahnen sprang. Irgendwann hörte sie auf und die Jungs und der Opa klatschen ganz doll! „Na, Jungs, da schaut ihr, was ihr für eine sportliche Oma habt!“ Die Jungs strahlten ihre Oma an und dann wollten sie natürlich auch hopsen. Und wie sie hopsten… irgendwann hatten beide rote Köpfe und ihnen war ganz heiß. Außer Puste setzten sie sich wieder an den Tisch und tranken etwas. Dabei fiel ihr Blick auf die knallbunte Plastikspirale. „Und was ist das?“ Hannes bewegte die Spirale ganz geschickt zwischen seinen Händen hin und her. „Jungs, dafür setzen wir uns an die Kellertreppe, dann zeige ich es Euch.“ Und wenig später saßen sie auf der obersten Stufe der Treppe und sahen zu, wie der Opa die Spirale oben abstellte, dann die ersten paar Ringe anhob, diese richtig Keller nach unten bewegte und sie schließlich losließ. Lachend beobachteten die drei, wie die Spirale durch diesen Schwung Stufe um Stufe hinunterglitt, bis sie schließlich in der Mitte der Treppe zum Stehen kam. Da kam wieder Leben in die Buben. Immer abwechselnd schubsten sie die Spirale nun mit dem Opa die Treppe hinunter. Währenddessen erklärte der Opa: „Wisst ihr, mit solchen Spielsachen haben schon euer Papa und die Patin gespielt.“ Und wie auf`s Stichwort erklang die Haustürglocke; der Papa von Hannes und Jakob kam, um die beiden abzuholen.
Wie der Blitz sprangen sie auf, rannten zum großen Tisch, auf dem noch immer die Kiste stand und riefen immer abwechselnd und auch durcheinander auf ihren Vater ein, was sie heute alles mit der Kiste erlebt hatten. Schließlich hielt Hannes seinem Papa den Brief hin und sagte: „Schau mal, der ist echt versiegelt und da hat jemand draufgeschrieben, dass man ihn nur aufmachen darf, wenn Du und die Patin dabei sind!“
Da grinste der Papa verschmitzt und meinte: „Na gut, dass die Patin nächste Woche kommt!“
Teil 5
„Oma, wann genau kommt die Patin denn heute?“ Jakob fragte das schon zum fünften Mal in der letzten Stunde. Er war aber auch einfach so aufgeregt. Denn wenn die Patin da wäre, könnten sie auch endlich den Brief aufmachen. „Jakob, lass doch die Oma mal in Ruhe Kaffee kochen“, rief die Mama. Die Patin hat vor einer Stunde angerufen und gesagt, dass sie jetzt losfährt. Insgesamt braucht sie drei Stunden, also müssen wir noch zwei Stunden warten.“
Sie saßen alle gemeinsam am großen Esstisch bei Oma und Opa. Hannes, Jakob, Miriam, Hermann und der Opa. Die Oma eigentlich auch, aber die kochte gerade Kaffee in der Küche. Hannes saß beim Opa auf dem Schoß und inspizierte einmal mehr mit ihm zusammen alle Schätze, die sich in der vor ihnen stehenden Schatzkiste befanden. „Opa, wie geht das denn das mit den Kassetten?“ „Kassetten“, begann der Opa zu erklären, „hatten wir, bevor die CDs erfunden wurden. Da hatten wir keinen CD-Player, sondern einen Kassettenrekorder. An meiner Stereoanlage im Wohnzimmer ist sogar noch einer integriert, das habt ihr ja sicher schon gesehen.“ Ja, gesehen hatten sie das Fach schon, nur eine Kassette angehört hatten sie damit noch nicht. „Wie wäre es, wenn wir die Bibi Blocksberg-Kassette da mal einlegen und schauen, ob sie überhaupt noch funktioniert? Wenn ja, könnt ihr sie ja anhören, bis die Patin kommt. Dann vergeht die Zeit schneller!“ „Ohja!“ Da hatte der Papa eine gute Idee gehabt und die Jungs liefen schon los ins Wohnzimmer. Jakob hatte die Kassette bereits ganz vorsichtig aus der Schachtel genommen und hielt sie dem Opa entgegen, der erst einmal einige Schalter an der Fernbedienung drückte. Dann betätigte er noch auf einen Knopf direkt an der Stereoanlage und das Kassettenfach sprang auf. „So, Jakob, jetzt musst Du die Kassette einmal in deinen Händen herumdrehen, und dann kannst Du sie hier in dieses Fach einlegen.“ Gesagt, getan. Daraufhin klappte der Opa das Fach wieder zu, drückte eine weitere Taste und kurz darauf hörten sie das lustige Lied, das ankündigte, dass nun eine Bibi Blocksberg-Geschichte folgt. Da staunten alle drei nicht schlecht. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Kassette noch funktioniert“, meinte der Opa, als er wieder am Esstisch Platz nahm. Die Jungs hingegen hatten sich bäuchlings auf den Teppich gelegt und lauschten der lustigen Stimme von Bibi, die auf der Kassette tatsächlich auch so klang wie heute in den Fernsehserien.
„Opaaaaaaaa!“ Verzweifelte Rufe waren aus dem Wohnzimmer zu hören. Die Eltern, Oma und Opa sprangen auf, um nachzusehen, was da los war. Aber sie hörten und sahen nichts. „Was ist denn?“ Miri konnte beim besten Willen nichts entdecken, was die Jungs so in Aufruhr versetzen konnte. „Die Kassette geht nicht mehr“, sagte Jakob in weinerlichem Ton. „Erst waren die Stimmen ganz komisch tief und dann kam gar nichts mehr!“ Auch Hannes war unsicher. Der Opa hatte da schon so einen Verdacht. Er lieft zum Kassettenfach, drückte auf den Knopf, um dieses zu öffnen und sagte dann: „Ein ganz klarer Fall von Bandsalat!“ „Salat?“ Jakob schaute so verdutzt drein, dass die Erwachsenen lachen mussten. „Bandsalat“, betonte der Opa. „Schaut mal!“ Er trat einen Schritt zur Seite, so dass die Jungs in das Fach hineinschauen konnten. Die staunten nicht schlecht. Alles war voll von einem verwurstelten, braunen Band, dass aus kleinen Löchern in der Kassette herauskam. Beide wussten nicht, was sie zu diesem Salat sagen sollten. Doch der Opa wusste Rat: „Hannes, Oma, sucht mal nach einem Bleistift. Den brauchen wir jetzt!“ Hannes wusste zwar beim besten Willen nicht, was der Opa nun auch noch malen wollte, aber mit den Worten „Ich weiß, wo einer ist!“ zischte er schon los. Währenddessen beobachtete Jakob, wie der Opa ganz vorsichtig das Plastikgehäuse der Kassette aus dem Fach nahm und sehr behutsam an dem Band zog, so dass er schließlich alles in den Händen hielt und zum Esstisch trug. Während alle Erwachsenen wieder Platz nahmen und sich Kaffee und Plätzchen widmeten, erklärte der Opa seinen Jungs: „Das Band muss da nun wieder ´rein!“ Er deutete auf die Kassette. „Das geht nur mit einem Bleistift. Den stecken wir jetzt hier in dieses Loch und drehen.“ Entzückt beobachteten die Jungs, wie der Bandsalat nach und nach kleiner wurde. „Ich will auch mal drehen!“ Hannes wurde ganz hibbelig. Der Opa gab ihm Kassette und Bleistift. „Hier, aber Du musst ganz vorsichtig sein, sonst reißt das Band und die Kassette ist dann wirklich kaputt.“ Hannes drehte Runde um Runde mit dem Bleistift. Der Opa drehte das in sich verhedderte Band ab und an in die richtige Richtung und innerhalb kurzer Zeit sah die Kassette aus wie zuvor. Keine Spur mehr von Bandsalat. „Können wir jetzt weiterhören?“ Jakob strahlte über beide Ohren, weil die Kassette nun wieder heil war. „Klar!“ Der Opa ging mit seinen Enkeln ins Wohnzimmer, legte die Kassette wieder ein und spulte so lange, bis die Jungs wieder an der richtigen Stelle waren.
So saßen dann wieder alle Erwachsenen am Esstisch und die Jungs lagen auf dem Wohnzimmerteppich – als dann doch endlich die Türklingel läutete. „Die Patin, die Patin!“ Die Jungs sprangen auf und liefen zur Haustüre, die sie stürmisch öffneten. Freudig sprangen sie an ihrer Patin hoch, lachten und riefen gleichzeitig, solange, bis die Oma hinter sie trat. „Lasst die Patin doch erst einmal hereinkommen!“ Viel zu lange dauerte es den Jungs bis ihre Tante alle anderen Erwachsenen begrüßt hatte. Sie wollten doch endlich von dem Brief erzählen. Irgendwann saß die Patin dann doch am großen Tisch, Jakob und Hannes je auf einem Oberschenkel und die Schatzkiste vor sich. Und Hannes und Jakob erzählten alles. Vom Schlitten fahren, von den Schlüsseln, wie die Oma über den grünen Gummi gehopst war, wie der Opa ihnen die bunte Spirale gezeigt und ihnen die Kassette repariert hatte. „Und jetzt bist Du endlich da und wir können den Brief aufmachen.“ Sie sahen beide nicht, wie die Patin über ihre Köpfe hinweg deren Vater, ihrem Bruder Hermann zuzwinkerte. „Na dann“, sagte sie zu den Jungs. „Na dann brauchen wie jetzt einen Brieföffner oder ein Messer. Dann können wir den Brief öffnen, ohne dass das schöne Siegel kaputt geht. Und dann sehen wir gleich, was sich in dem alten Umschlag befindet!“
Teil 6
Alle sahen gespannt zu, als der Opa den alten Umschlag ganz vorsichtig mit seinem Taschenmesser an der oberen Kante öffnete. „Darf ich den Brief herausholen?“ Hannes flüsterte, als er die Frage stelle. Der Opa reichte ihm den Umschlag mit den Worten: „Vorsichtig sein, das Papier ist schon ein paar Jahre alt und sicher brüchig. Nicht, dass Du es zerreißt.“ Ganz behutsam fischte Hannes den Inhalt aus dem Umschlag, Jakob stand mit großen Augen genau neben seinem Bruder. Auch war unheimlich gespannt. Endlich erfuhren sie, was in dem Brief stand. Der Papa und die Patin beobachteten die beiden ganz genau und zwinkerten sich dabei immer wieder zu. Endlich hatte Hannes ein schon gewordenes, zweimal gefaltetes Papierstück in der Hand. Ehrfürchtig klappte er es auf – und stutzte.
„Na, kannst Du lesen, was auf dem Papier draufsteht?“ Auch die Oma war mittlerweile sehr neugierig, doch sie und die Mama saßen auf der anderen Seite des Esstisches und konnten nichts sehen. Hannes drehte das Papier um, so dass alle einen Blick darauf werden konnten. „Da steht nichts“, sagte er enttäuscht. Tatsächlich, das Blatt war leer. Man konnte Jakob und Hannes ansehen, dass sie so viel erwartet hatten – aber nicht, dass das Blatt leer war. Sie hatten sich in den letzten Tagen schon ausgemalt, wie sie einen Schatz finden würden. Und nun das. „Och Menno“, sagte Jakob weinerlich. „Zeig` mal her“, forderte der Papa Hannes auf und der gab ihm den Zettel. „Na, Patin, was sagst Du dazu?“ Er und seine Schwester standen nebeneinander und hatten das Papier ganz nahe vor ihren Gesichtern. „Hm“, sagte die Patin. „Findest Du nicht, dass der Brief ein klein wenig nach Zitronensaft riecht?“ „Ja, jetzt wo Du es sagst!“ Der Papa schnüffelte übertrieben an dem Blatt. „Komisch, warum riecht der denn nach Zitrone?“ „Ganz klarer Fall“, rief da der Opa. „Oma, wir brauchen ein Bügeleisen!“ „Ein Bügeleisen?“ Nicht nur die Oma, auch die Mama und die Jungs fragten das wie aus einem Mund. „Ja, ein Bügeleisen. Los geht`s! Vielleicht steht ja doch etwas auf dem Zettel.“ „Wartet!“ Die Oma konnte mit Mühe und Not die ganze Mannschaft davon abhalten, sich in ihren kleinen Bügelraum zu quetschen. „Ich hole das Bügelbrett und das Bügeleisen hier heraus ins Esszimmer!“ „Omaaaaa, mach schneller!“ Hannes und Jakob waren ganz aufgeregt. Was hatte der Opa denn nun wieder vor?
Als das Bügeleisen eingesteckt war und sich etwas aufgeheizt hatte, sagte der Opa: „So, dann versuchen wir mal unser Glück. Er legte das Blatt Papier auf das Bügelbrett und fuhr langsam mit dem heißen Eisen darüber. Hannes und Jakob, die zu beiden Seiten dicht beim Opa standen, staunten nicht schlecht. Sie konnten beobachten, wie ganz langsam dunkelbraune Buchstaben sichtbar wurden. Sehr krakelig sahen sie aus, aber man konnte sie deutlich erkennen. Innerhalb kürzester Zeit war das ganze Blatt voller Wörter und der Opa machte mit seinem Handy schnell ein Foto davon. „Nicht, dass die Buchstaben wieder verschwinden“, murmelte er dabei.
Nun saßen sie alle um das Handy herum. Besser gesagt, saßen alle, bis auf Jakob, Der hüpfte nämlich aufgeregt auf und ab und sang dabei: „Wir haben eine Schatzkarte, wir haben eine Schatzkarte!“ „Du weißt Du gar nicht, was da steht! Vielleicht steht da gar nichts von einem Schatz!“ Hannes war bereits etwas skeptisch geworden. „Das haben, so wie es aussieht, Kinder geschrieben“, lächelte die Oma. „Die Schrift sieht so ähnlich aus wie Deine, Hannes.“ „Stimmt, bisschen arg krakelig“, grinste dieser. „Ruhe jetzt, ich lese vor!“ Der Opa erhob die Stimme. „Oma, schreibe mit!“ Die Oma holte Papier und Stift, da las der Opa los.
1. Gehe zur großen Birke.
2. Drehe Dich zur Mittagssonne.
3. Laufe 20 Schritte gerade aus.
4. Gehe dann auf den Starenkasten zu.
5. Biege zwischen den zwei Holunderbüschen rechts ab.
6. Gehe bis zum Kastanienbaum.
7. Drehe Dich nach links.
8. Laufe 30 Schritte gerade aus.
9. Grabe!
„Hast Du alles?“ Der Opa schaute die Oma fragen an. Diese zeigte ihm zum Abgleich den Zettel. Er grinste: „Bei Dir sind bedeutend weniger Rechtschreibfehler drin!“ Dann drehte er sich zu seinen Enkelkindern um. „So, Jungs, was sagt Ihr jetzt? Das ist wohl wirklich eine Schatzkarte!“ Die beiden wussten noch immer nicht, was sie sagen sollten. Jakob flüsterte: „Können wir den Schatz jetzt suchen?“ „Wo ist denn eine Birke?“ Hannes war schon einen Schritt weiter. „Ist das überhaupt hier bei uns?“ Da schaltete sich der Papa ein. „Wenn man bei der Oma aus dem Garten schaut, sieht man ganz links doch eine Birke. Vielleicht ist ja die gemeint?“ Die Patin knuffte ihn in die Seite. „Aber Bruderherz, da steht ja etwas von Mittagssonne. Die sehen wir jetzt ganz sicher nicht.“ Alle schauten zum großen Fenster. Es stimmte, mittlerweile war es stockdunkel draußen. „Aber was haltet ihr davon, wenn wir uns morgen vor dem Mittagessen alle zusammen zur Schatzsuche treffen?“ „Jaaaaaa!“ Die Freude war groß bei Hannes und Jakob. Endlich konnte die Suche beginnen. Wer weiß, was sie finden würden. „Ohje“, seufzte die Mama. „Na ich bin ja mal gespannt, ob ihr beiden da heute Nacht überhaupt schlafen könnt.“ „Ich glaube ja“, begann die Oma und schaute grinsend zum Opa hinüber. „Ich glaube ja, dass der Opa am aufgeregtesten ist und nicht schlafen kann!“ Als der Opa daraufhin scherzhaft mit dem Zeigefinger drohte, lachten alle! Hoffentlich war bald morgen, denn mittlerweile waren sie schon alle vom Schatzsuche-Fieber gepackt!
Teil 7
Warm eingepackt standen sie alle zusammen gut gelaunt vor dem Haus der Großeltern. Der Opa hatte auf Drängen von Hannes und Jakob bereits noch gestern Abend den Spaten aus dem Gartenschuppen geholt – sicher war sicher, denn den durften sie schließlich nicht vergessen. Hannes hielt den Zettel mit den Anweisungen in der Hand, aber er war so nervös, dass er ihn lieber an die Oma übergab. „Bei der Aufregung kann ich sicher nicht gut lesen, weißt Du?“ Die Oma nickte verständnisvoll und las den ersten Punkt noch einmal vor. „Gehe zur großen Birke!“
Die Schatzsucher setzten sich alle in Gang und Jakob, der neben seinem Papa herlieft, fragte auf einmal: „Was ist eine Birke?“ Der Opa erklärte: „Eine Birke ist der einzige Baum mit einer weißen Rinde. Kannst Du so einen sehen?“ Da strahlte der Kleinste und rannt los, auf die einzige Birke, die auf der Wiese zu sehen war. Endlich waren auch alle anderen an dem schönen Baum angekommen. „Drehe Dich zur Mittagssonne.“ Noch während die Oma vorlas, wendete sie sich schon etwas nach links und lies sich die hellen Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen. „Na, zum Glück ist heute keine einzige Wolke am Himmel zu sehen. Das macht die Schatzsuche doch gleich etwas einfacher!“ sagte der Opa. „Und jetzt?“ Hannes konnte sich beim besten Willen nicht mehr an die nächste Aufgabe erinnern. Die Oma warf einen prüfenden Blick auf ihren Zettel. „Laufe 20 Schritte geradeaus.“ „Los geht`s!“ Lachend stellte sich die Patin neben den Hannes und gleichzeitig liefen sie, laut bis 20 zählend, gerade aus. Doch am Ende stand die Patin viel weiter vorne als ihr kleiner Neffe. „Was zählt jetzt?“ Fragend schaute der sich zum Rest um, der langsam hinterdrein stapfte. Der Opa wusste Rat: „Da die Schrift auf dem Zettel ja eher aussah wie Deine, Hannes, glaube ich, dass Deine Schritte zählen.“ Ja, das leuchtete allen ein. „Gehe auf den Starenkasten zu.“ Die Oma lies schon die nächste Aufgabe vor. Doch so sehr die Jungs sich auch drehten und schauten – sie konnten kein Vogelhäuschen entdecken. „Vielleicht ist das ja schon so alt gewesen, dass es heruntergefallen ist?“ Hannes sah fragend seine Mama an. Doch die lächelte. „Ich sehe aber einen Starenkasten!“ „Ich auch.“ „Ich auch.“ „Und ich auch!“ Alle Erwachsenen hatten ihn entdeckt. „Schaut mal richtig weit oben, der Baum, an dem der Kasten hängt, ist sicher groß gewachsen!“ Da blinzelten die beiden Jungs in die Sonne und hatten kurz darauf ebenfalls den kleinen Kasten entdeckt. Als alle am Fuße des alten, hohen Baumes ankamen, zupfte Jakob seine Oma am Mantelärmel: „Wie geht es denn weiter?“ „Biege zwischen den Holunderbüschen rechts ab! Das sind dann wohl die beiden da.“ Skeptisch schaute sie auf zwei mittlerweile dicht gewachsene Büsche. Der Opa und der Papa hielten, jeder an einer Seite, die Äste weg, so, dass alle mühelos zwischen den Büschen hindurchschlüpfen konnten. „Da drüben steht ein Kastanienbaum, müssen wir da jetzt hin?“ Hannes, der mit seinem Opa und seinem kleinen Bruder schon oft Kastanien sammeln war, erkannte den Baum mit ein paar übriggebliebenen, großen Blättern sofort. „Ja, genau!“ Die Oma hatte noch einmal auf ihrem Zettel nachgeschaut. „Und an der Kastanie müssen wir uns nach links drehen, 30 Schritte geradeaus laufen und dann graben!“ Hannes und Jakob waren nun nicht mehr zu bremsen. Nachdem sie sich am Kastanienbaum in die gewünschte Richtung gedreht hatte, marschierten sie Hand in Hand los, Hannes zählte dabei perfekt bis 30. Er kam schließlich zum Stehen und entdeckte, dass ganz dicht bei ihm eine kleine Stelle war, an der die Erde etwas lockerer lag. „Opa, schnell, bring den Spaten mit! Hier muss es sein!“ Der Opa kam, kramte in seinen großen Manteltaschen und förderte zwei kleine Gartenschaufeln daraus ans Licht. „Vielleicht möchtet ihr ja auch selbst buddeln? Der Boden erscheint mir recht locker!“ Ohja, und wie sie das wollten. Sie gingen in die Hocke und kratzten mit ihren kleinen Schaufeln in der Erde. „Zum Glück ist der Schnee wieder geschmolzen“, grinste Jakob. „Sonst müssten wir den zuerst auch noch wegschaufeln!“ Auf einmal hörten sie ein metallisches Kratzen. Hannes war mit seiner kleinen Schaufel auf etwas gestoßen. Schnell schob er mit seinen Händen noch etwas Erde beiseite und sah dann eine verrostete Blechkiste im Boden stecken. „Kann mir jemand helfen?“ Er drehte sich zu den Erwachsenen um, die nicht schlecht staunten. Der Papa lockerte mit seinen großen Händen den Boden um die Dose, hob sie heraus und gab sie Hannes in die Hände. „Jakob, magst Du den Deckel aufmachen?“ Hannes drehte sich zu seinem kleinen Bruder – beide hielten die Spannung kaum aus. Auch die Mama, die Oma und der Opa kamen näher. Der Papa und die Patin zwinkerten sich grinsend zu, bevor sie dann auch zu den beiden Jungs herantraten. Jakob klappte gerade den Deckel um. Und zum Vorschein kamen sieben Schokoriegel, zwei kleine Päckchen und ein Brief. Das war eine Freude! Als sich die erste Aufregung gelegt hatte, hielt Hannes seiner Patin die Dose entgegen. „Patin, kannst Du uns den Brief vorlesen?“ „Aber klar!“ Sie grinste noch immer über beide Ohren, stellte sich neben den Papa, stupste diesen mit dem Ellenbogen in die Seite und las vor:
„Lieber Hannes, lieber Jakob,
herzlichen Glückwunsch, Ihr habt den Schatz gefunden! Leider ist Schokolade nicht 27 Jahre haltbar und unser eigentlicher Schatz verdorben; daher haben wir uns erlaubt, heute Nacht noch etwas Neues in die Blechkiste zu legen. Die neuen Schokoriegel sind für den gesamten Suchtrupp – die haben wir uns verdient. Die beiden Päckchen sind ein kleiner Gruß vom Christkind an die beiden kleinsten Sucher. Die dürfen erst morgen am Heiligen Abend geöffnet werden!
Frohe Weihnachten wünschen der Papa und die Patin, die auch einmal klein waren und von einem großen Schatz träumten…“
Ende
Anna M. Dittus
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